Samstag, 22 Dezember 2018 13:21

Menschlichkeit

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Es ist der letzte Samstag vor Weihnachten. Mein Mann, unser Sohn und ich sitzen im Auto.
Wir waren in Heidelberg und sind auf dem Weg nach Hause.
Nur Verrückte gehen am Samstag vor Weihnachten in die Stadt, hat meine Freundin noch zu mir gesagt und wahrscheinlich hat sie recht.
Plötzlich fragt mich mein Mann ganz aufgeregt:“ Hast du den Mann eben gesehen? Wie der da an der Bushaltestelle lag? Meinst du wir sollten anhalten?“
Ich hab wo anders hingeguckt und hab ihn nicht gesehen.
Aber ich weiß sofort – JA, wir sollten anhalten!

Wir fahren rechts ran, lassen unseren Sohn im Auto und laufen zur Bushaltestelle.Dann seh ich ihn, er sitzt noch halb auf dem Bänkchen der Haltestelle, halb liegt er schon unten,er stützt sich mit Mühe und Not mit den Füßen ab, dass er nicht ganz abrutscht. Unter ihm liegt eine große Flasche Schnaps, neben ihm ein Rucksack voll mit Tetrapack Wein.Ich geh zu ihm hin und frag ihn“ Hallo, geht’s Ihnen gut?“ Was in angesichts dieser Situation schon eine recht blöde Frage ist. Aber mir fällt nichts anderes ein.Von der anderen Seite der Haltestelle kommt ein Mann gelaufen, der ebenfalls mit dem Auto angehalten hat um zu schauen, ob er helfen kann.Ich schlage vor, den Mann erstmal aufzurichten und zu dritt bekommen wir es hin, ihn so auf die Bank zu setzten, dass er nicht gleich wieder runter rutscht.Der Mann murmelt etwas, dass ich nicht verstehe – wir beratschlagen uns kurz und sind uns einig – so können wir ihn nicht sitzen lassen.Mein Mann zückt sein Handy und ruft Hilfe mit der 110.Der Mann, der noch geholfen hat fragt, ob ergehen kann, er habe noch einen Termin.Wir versichern ihm, dass wir bleiben bis Hilfe kommt, dann fährt er weg.In „unseren Patienten“ kommt plötzlich Leben, er schwankt nach vorne, ich pack sofort seine Schulter und halt ihn fest, da schaut er mich an…“Mir geht´s nicht gut“, sagt er plötzlich recht deutlich. „Ja“, antworte ich „das seh ich, es wird alles gut, wir haben Hilfe geholt, so lange bleiben wir bei Ihnen!“ Er schaut mich aus unendlich traurigen, verlorenen Augen an, dann fängt er an zu weinen.Es ist mir plötzlich egal, dass er nicht gut riecht, ich setz mich ganz dicht neben ihn und leg ihm meinen Arm um die Schulter, mit der anderen Hand hab ich ihn am Arm, dass er nicht nach vorne kippt. Mein Mann steht auf der anderen Seite und passt mit auf.Ich streichle seinen Rücken. „Ich bin Alkoholiker!“ sagt er ganz leise und schaut mich wieder aus diesen traurigen Augen an. Ich seh den Mensch dahinter – es sind gute Augen. „Ja“, sag ich „das passiert manchmal“ und ich mein es genau so, wie ich es sage!Es wird mir wieder einmal mehr bewusst, wie verletzlich wir menschlichen Wesen doch alle sind. Und wenn es uns den Boden unter den Füßen weg zieht, kann jeder von uns in eine solche Situation geraten. Alkohol ist ja überall und für jeden greifbar. Alkohol ist ein Teufelszeug!Ich rücke noch ein Stückchen näher an ihn ran, er hustet, spuckt Schleim…es ist mir egal, es ist mir egal ob er sich übergeben muss oder einnässt…all das könnte gut passieren, aber es ist mir echt in diesem Moment egal. Ich möchte ihm menschliche Wärme geben, stilles verstehen, will einfach ganz DA sein. „Ich halte Sie hoffentlich nicht auf!“ sagt er, dann weint er wieder. „Nein“, sage ich, wir haben Zeit.So sitzen wir bestimmt noch 10 Minuten bis der Rettungswagen kommt, ich ganz dich an ihm dran, meinen Arm um ihn gelegt und seinen Rücken streichelnd, mein Mann steht daneben und hält ab und zu seine Schulter, wenn er nach vorne schwankt.In dieser Zeit kommen noch 2!!! Männer an uns vorbei, schauen kurz und fragen sofort, ob sie helfen können! Nur ein einziger macht an angewidertes Gesicht und eine saublöde Geste im Vorbeigehen.Als die Sanitäter kommen schaut er mich wieder an, nimmt meine Hand in seine, und drückt sie ganz fest „Danke!“, sagt er immer wieder „Danke, danke!“Ich wünsche ihm von Herzen alles Gute und sage ihm, dass er auf sich aufpassen soll!Dann helf ich dem Sanitäter ihn noch bis zum Rettungswagen zu bringen.

Mein Mann sagt im Auto zu mir, bevor er mich kennen gelernt hat, wäre er sicher weiter gefahren. „Da liegt halt einer, der zu viel gesoffen hat“, hätte er sich gedacht…aber ich habe ihm beigebracht nicht so zu denken. Das ist echt ein schönes Kompliment.
Und es zeigt mir, wie wir im Kleinen doch ganz Großes bewirken können.
Natürlich haben wir das alles unserem Sohn erzählt, der ja die ganze Zeit im Auto gewartet hat und ich wünsche mir, dass auch er nie zögert um zu helfen.
Der erste Gedanke ist immer der Richtige – und wenn dein Herz sagt: Da stimmt was nicht, schau nochmal genauer hin. Dann zögere nie!

Es ist Weihnachten, ich denke an all die Menschen für die das eine harte Zeit ist, an die Verzweifelten, die Einsamen, die, die aus der Gesellschaft rausgefallen sind.
Es hat gut getan zu sehen, dass außer uns noch andere Menschen bereit waren zu helfen!
Es lässt mich an das Gute glauben…es lässt mich hoffen, dass wir doch noch nicht so abgestumpft sind.

Wir sind alle Menschen, wir haben alle unsere Geschichten – manche sind schön und manche sind traurig und auch tragisch.
Wir haben alle ein warmes Herz in unserer Brust schlagen…lassen wir es nie kalt werden
und geben wir denen, deren Licht im Herzen ganz klein geworden ist, immer von unserer Wärme etwas ab!

Das wünsch ich mir so sehr!
Danke für die Menschlichkeit, danke für die Liebe

Letzte Änderung am Samstag, 30 März 2019 17:21

1 Kommentar

  • Kommentar-Link der_Christian Montag, 01 April 2019 11:10 gepostet von der_Christian

    Daran sollte sich jeder ein Beispiel nehmen!

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